Center for Regional Economic Development (CRED)

Standortdynamik und regionale Wirtschaftspolitik

Kernkompetenz: Fiskalföderalismus

Fiskalföderalismus umfasst jegliche Form dezentral organisierter staatlicher Aufgaben und Institutionen. Die Forschung zu Fiskalföderalismus befasst sich folglich mit weit mehr als reinen Budgetfragen. Übergeordnetes Ziel ist es herauszufinden, welche staatliche Aufgaben von welcher föderalen Ebene übernommen werden sollen. Hierzu müssen sowohl die Interaktionen der Institutionen einzelner föderaler Ebenen als auch deren Wechselwirkungen mit wirtschaftlichen Akteuren wie Unternehmen und Haushalten berücksichtigt werden. Die grosse Herausforderung der empirischen Forschung im Bereich Fiskalföderalismus besteht, solche Wirkungszusammenhänge zu identifizieren und zu quantifizieren.

Unsere Forschung fokussiert sich auf die Auswirkungen von föderalen Institutionen auf das Verhalten von Haushalten und Konsequenzen, die sich daraus ergeben. Wir nutzen hierzu die grosse Heterogenität der Schweizer Institutionen auf Kantons- und Gemeindeebene, zum Beispiel die in Grafik 1 illustrierten Steuerunterschiede. Insbesondere Änderungen in diesen Institutionen erlauben uns detaillierte Rückschlüsse zum Beispiel auf die Wohnortwahl von Haushalten.

CRED: Fiskalföderalismus / Fiscal federalism
Grafik 1: Durchschnittssteuersatz (DSS) für einen unverheirateten Steuerzahler in der Schweiz 2009 mit einem Einkommen von 200’000 CHF.

Fiskaltransfers in der räumlichen Wirtschaft

Viele Länder verlagern erhebliche öffentliche Mittel zwischen ihren verschiedenen Gerichtsbarkeiten, um wirtschaftliche Unterschiede zwischen den einzelnen Regionen abzumildern. Trotz dieser Verbreitung von Transferzahlungen der Steuermittel ist überraschend wenig über ihre wirtschaftlichen Auswirkungen bekannt. Wie wirken sie sich auf die gesamtwirtschaftliche Aktivität und die Verteilung von Bevölkerung und Einkommen über die Regionen aus? Wie gestalten sie regionale Migrationsströme? Welche Auswirkungen haben sie auf die Produktivität und die Wohlfahrt auf nationaler Ebene?

Um diese Fragen genauer zu beleuchten, haben wir ein allgemeines Gleichgewichtsmodell mit mehreren asymmetrischen Regionen, Arbeitskräftemobilität, interregionalem Handel und Steuertransfers zwischen einzelnen Regionen erstellt und quantifiziert. Wir kalibrieren das Modell unter Berücksichtigung der in den Daten beobachteten (oder daraus abgeleiteten) Steuern und Transferzahlungen. Die Ausgangssituation in unserem Modell stellt ein räumliches Gleichgewicht dar, in dem Sinne, dass der Nutzen der privaten Akteure über den Raum hinweg ausgeglichen ist und Personen, welche individuelle Standortpräferenzen haben, keine Anreize mehr haben, sich zu bewegen. In einer kontrafaktischen Analyse simulieren wir dann, wie sich das Gleichgewicht ändern würde, wenn Deutschland alle Transferzahlungen zwischen den REgionen vollständig aufgeben würde. In diesem Szenario werden lokale öffentliche Güter ausschließlich durch die Besteuerung der lokalen Wirtschaftstätigkeit finanziert. Wenn wir dieses kontrafaktische Szenario mit dem tatsächlichen Gleichgewicht vergleichen, können wir beurteilen, wie und über welche Kanäle sich der fiskalische Ausgleich von Steuermitteln auf die räumliche Wirtschaft auswirkt. Anschließend untersuchen wir auch die Höhe der optimalen Transferzahlungen und vergleichen dieses hypothetische Ideal mit den derzeit implementierten Transferzahlungen von Steuermitteln in Deutschland.

Die Abschaffung von Transferzahlungen erhöht die nationale Produktion, aber nicht die Wohlfahrt

In unserem kontrafaktischen Szenario, in dem alle Steuertransfers abgeschafft werden, beobachten wir eine große Migrationswelle von den ehemaligen Empfänger- in Richtung der ehemaligen Geberregionen. Insgesamt rechnen wir damit, dass rund 2,8 Millionen Menschen beim Übergang zu einem neuen langfristigen räumlichen Gleichgewicht ihren lokalen Arbeitsmarkt verlassen würden. Einige ostdeutsche Regionen würden fast ein Viertel ihrer Bevölkerung verlieren, während Großstädte wie Frankfurt oder München erheblich wachsen würden. Der Transfer von Steuermitteln über die Regionen scheint daher die Standortwahl der Menschen erheblich zu beeinflussen.

Da die induzierte Migration von weniger in produktivere Regionen erfolgt, beobachten wir in unserer Benchmark-Spezifikation erhebliche Zuwächse bei der aggregierten Produktion und Produktivität. In Anbetracht unserer bevorzugten Parameterkonstellation berechnen wir, dass die Abschaffung von Transfers die durchschnittliche Arbeitsproduktivität um 3,4 Prozent und das reale Pro-Kopf-BIP um 2 Prozent erhöht. Das linke Feld in Abbildung 1 zeigt die kontrafaktische Änderung der nationalen Produktivität für verschiedene Parameterkonstellationen. Durch die Verlagerung der Wirtschaftstätigkeit in die Peripherie begrenzen Steuertransfers daher die Produktivität und die Einkommensstreuung, was jedoch zu Lasten einer geringeren nationalen Produktion und Produktivität geht.

Grafik 2 (a und b): Auswirkungen der Abschaffung von Steuertransfers auf die nationale Produktivität und Wohlfahrt

CRED: Fiskalföderalismus / Fiscal federalism
Grafik 2 (a): Productivity
CRED: Fiskalföderalismus / Fiscal federalism
Grafik 2 (b): Welfare

Wenn wir uns jedoch der nationalen Wohlfahrt zuwenden, finden wir ein anderes Muster. Mit unserer bevorzugten Basisspezifikation stellen wir fest, dass das Wohlbefinden sogar geringfügig um 0,07 Prozent abnimmt, wenn Transfers abgeschafft werden. In anderen Parameterkonstellationen, die im rechten Bereich von Grafik 2 dargestellt sind, erhalten wir manchmal Wohlfahrtsverluste und manchmal Gewinne, abhängig von den Parametern. Aber selbst wenn es Wohlfahrtsgewinne gibt, sind sie durchweg eine Größenordnung kleiner als die Steigerung der nationalen Produktivität und Produktion. Mit anderen Worten, die Abschaffung von Steuertransfers von reichen in arme Regionen in Deutschland erhöht die durchschnittliche Produktivität auf nationaler Ebene, kann jedoch die Wohlfahrt verringern.

Was ist die Intuition dieses Ergebnisses? Das Ergebnis beruht auf Ineffizienzen des anfänglichen räumlichen Gleichgewichts. Ein wichtiger Kanal in unserem Modell ist, dass die ehemaligen Geberregionen aus sozialer Sicht bereits „zu groß“ sind. Diese Überlastung resultiert aus verschiedenen externen Faktoren, die Einzelpersonen bei der Auswahl ihres Wohnortes ignorieren. In unserem Rahmen gibt es eine Mischung aus positiven und negativen externen Effekten, die unterschiedliche Agglomerations- und Dispersionskräfte sowie die gemeinsame Nutzung lokaler öffentlicher Güter darstellen. Die kombinierte Externalität der Nettoagglomeration, die einzelne Personen anderen auferlegen, muss jedoch für den marginalen Migranten negativ sein. Andernfalls ist es schwierig zu erklären, warum die Wirtschaftsgeographie eines Landes sich nicht auf eine einzelne Stadt konzentriert. Großstädte können daher „zu groß“ sein, obwohl interregionale Transportkosten und Marktgrößeneffekte dieser Tendenz entgegenwirken können.

Die von uns beobachteten Steuertransfers wirken einer Überlastung der Großstädte effektiv entgegen, da sie Anreize für Arbeitnehmer bieten, außerhalb der Großstädte zu wohnen. Dies kann die allgemeine Wohlfahrt verbessern, insbesondere wenn die Transportkosten für Waren nicht zu hoch sind und die Empfänger von Transferzahlungen nicht zu abgelegen liegen. Umgekehrt kann die Abschaffung der bestehenden Transfers trotz der damit verbundenen Produktivitätssteigerungen schlecht für die allgemeine Wohlfahrt sein, da das Problem der Überlastung in den Großstädten noch schlimmer werden kann. Die Steuertransfers sind sicherlich höchstens ein zweitbestes Instrument und setzen keine „optimale räumliche Struktur“ der Wirtschaft in einem sinnvollen Sinne um. Unsere Ergebnisse deuten jedoch darauf hin, dass sie die Wirtschaft näher an dieses Optimum bringen könnten.

Unsere Analyse zeigt auch, dass das derzeitige System der steuerlichen Ausgleichszahlungen zwischen den Regionen in Deutschland nicht optimal mit Hinblick auf die allgemeine Wohlfahrt der Gesellschaft ist. Die Transfers sollten reduziert werden, um die Effizienz in de Produktion auf nationaler Ebene zu steigern. Sie sollten jedoch nicht auf null gesenkt werden. Abgesehen davon zeigt diese Übung, dass die nationale Produktivität oder das reale BIP die falschen Statistiken sind, wenn es darum geht, die Effizienz von Steuertransfers zwischen Regionen zu untersuchen: Ausgehend vom derzeitigen System würde die vollständige Abschaffung aller Transferzahlungen zwischen den Regionen, im Vergleich zur Reduzierung der laufenden Transfers auf das optimale Niveau, eine höhere Produktivität und größere BIP-Gewinne zur Folge haben, jedoch nicht eine höhere allgemeine Wohlfahrt.

Laufende Projekte zum Thema Fiskalföderalismus

 Arbeitstitel Fragestellung
Autoren
Fiscal Transfers in Germany Was sind die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen von steuerlichen Transferzahlungen zwischen Regionen? Marcel Henkel, Tobias Seidel (Universität Duisburg-Essen), Jens Suedekum (Heinrich-Heine Universität Düsseldorf)
Effective Tax Rates and Effective Progressivity in a Fiscally Decentralized Country
Was ist die effektive Progression des dezentralen Einkommenssteuersystems der Schweiz?
Marcus Roller, Kurt Schmidheiny (Uni Basel)
Tax-Induced Household Mobility: Evidence from Intra-City Income Tax Variation
Wechseln Haushalte aufgrund von lokalen Einkommenssteuerunterschieden den Wohnort?
Marcus Roller, Kurt Schmidheiny (Uni Basel)